Mittwoch, 24. Mai 2017

GLYNDEBOURNE FESTIVAL - eine Ansage gegen die Verdrießlichkeit

Von der Liebe zur Oper, könnte ein schönes Motto sein, oder im Falle von Glyndebourne noch treffender: von der Liebe zu einem ganzen Opernhaus, mehr noch, einem ganzen internationalen Opernfestival.

Glyndebourne Festival wurde 1934 von John Christie und der Opernsängerin Audrey Mildmay auf dem Anwesen der Christie Familie in Sussex gegründet.

Bis heute nimmt Glyndebourne unter den weltweiten Opernfestspielen eine Sonderstellung ein, denn welch anderes Festival schafft es wahrhaft, seine Besucher in eine andere, romantischere Welt zu entrücken. Klingt weit hergeholt? Dann haben Sie Glyndebourne noch nicht erlebt.
In einer berauschen schönen Naturkulisse, zwischen weidenden Schafen, inmitten duftend malerischer Rosengärten, nimmt man sich noch wahrhaftig Zeit für die Musik. Zeit zum Entdecken und Wiederentdecken eines Werkes, Zeit zum profunden Erarbeiten eines Stücks und Zeit, es in vollen Maßen unter Mitwirkung internationaler Spitzenmusiker zu genießen. So viel Zeit, dass man fast meinen könnte, hier wäre sie stehen geblieben, wenn man den grünen Rasen Glyndebournes betritt. Very old fashioned möge man meinen, wenn man all die Bilder der Champagner sippenden in Abendkleid und Smoking gekleideten Gäste auf ihren Picknickdecken sieht.
Dabei sind die Inszenierungen zumeist modern, sich schonungslos aktuellen Themen und der konkreten Alltagsrealität stellend. Auch scheut sich die Festivalleitung nicht, immer wieder neue Werke in Auftrag zu geben. Vielleicht ist es genau dieser Kontrast, die entrückte Schäferidylle der Landschaft und deren friedvolle Ruhe, die eine solch intensive Auseinandersetzung und Reflexion zulässt.

  
Vor der Vorstellung

Da Gyndebourne so etwas wie ein Märchen ist, waren die Grundsteine des Festivals tatsächlich die Liebe und eine gemeinsame Passion für die Oper, nämlich jene der Festivalgründer John Christie und Audrey Mildmay. Letztere war eine britisch kanadische Sopranistin, von deren Stimme und Charme der Musikliebhaber John Christie so angetan war, dass er sich bei deren ersten Begegnung während einer privat organisierten Aufführung von Mozarts Entführung aus dem Serail in Glyndebourne Hals über Kopf in sie verliebte. Kurz nach deren Heirat begann er mit der Verwirklichung seines Traums, dem Bau eines Opernhauses. Eine Anekdote besagt, Audrey Mildmay hätte damals zu ihrem Mann gesagt: "Wenn Du schon vor hast, Dein ganzes Geld dafür hinauszuwerfen, dann mach es bitte ordentlich".
Die Konstruktion jenes Hauses, das für Jahrzehnte sowohl Intimität als auch technisch hohe Standards bieten sollte, dauerte einige Jahre und so fiel die Fertigstellung in jene düster stürmische Zeit, in der Europa auf den zweiten Weltkrieg zusteuerte. Zwei prägende Persönlichkeiten, geflüchtet aus Nazi Deutschland, eröffneten die erste Saison im neuen Opernhaus, der Dirigent Fritz Busch und  der Regisseur Carl Ebert.

Die Gründer Audrey Mildmay und John Christie

Der nächst gelegene Ort, in welchem auch die meisten der Künstler untergebracht sind, ist das kleine Städtchen Lewes, eigentlich nicht viel mehr als eine kleine Geschäftsstraße, eine Burg, ein paar Pubs, Cottages und ein Bahnhof. An jenem kommen nun seit über 80 Jahren während der Festivalsaison, Menschen in Abendkleidung von Londons Victoria Station an und lassen sich samt ihrer oft beträchtlichen Picknickausstattung von einem Sammelbus nach Glyndebourne fahren. Jenen, die ein Taxi nach Glyndebourne bevorzugen, ist zu empfehlen, auch die Rückfahrt bereits im Vorfeld zu buchen, denn ab den späteren Abendstunden, gibt es keine Garantie, dass in Lewes noch ein Telefon abgehoben wird, zumindest bei keiner der lokalen Taxigessellschaften. Die Uhren an jenem Ort ticken eben anders.

1994 wurde das neue Opernhaus eröffnet. Moderner ausgestattet und größer als in seinen Anfangsjahren, hat sich der Veranstaltungsort dennoch sein einzigartiges Flair als stilvolle Manege der hohen Kunst und Lebenslust bewahrt.

Nicht nur auf, sondern auch hinter der Bühne scheinen sich in Glyndebourne manche Geschichten zu wiederholen, so auch im Privatleben der Familie Christie. Diesmal war es nicht Mozart sondern Händel, der eine international gefeierte Sopranistin nach Glyndebourne lockte. Die australische Sängerin Danielle de Niese und Gus Christie, Enkel der Festivalgründer und Chairman des heutigen Festivals, lernten sich während einer Produktion von Giulio Cesare kennen, in welcher Danielle de Niese in der Partie der Cleopatra  zu erleben war. Inzwischen sind die beiden verheiratet und haben einen Sohn. Wie einst Audrey Mildmay brilliert die Sopranistin nicht nur auf der Bühne, sondern erfüllt neben ihrem Mann auch die Rolle der Gastgeberin, was in einem so persönlich geführten Haus und Ambiente wie Glyndebourne eine wichtige Rolle spielt. 

Glyndebourne Estate

Selbst jene die sich vor ihrem ersten Besuch skeptisch zeigen und befürchten, mit zuviel steifer British Upperclass konfrontiert zu werden, müssen sich am Ende wohl eingestehen: Dieser Ort ist einfach zu schön, die Qualität und der Tiefgang der Produktionen zu beeindruckend, um irgendeinen Grund zu ersinnen, der es einem ermöglichen würde, dieses Märchen, nur 50 Meilen südlich des hektischen Londoner Zentrums, nicht aus vollem Herzen zu genießen.

Glyndebourne ist eine künstlerische Ansage gegen die Verdrießlichkeit, die Schnelllebigkeit und die Resignation. Denn dort wo aus Leidenschaft einst zwischen Schafsweiden ein neues Zuhause für die Kunst erschaffen wurde, fällt es einem leicht, das Leben zu feiern und dabei zu glauben, dass die Oper uns nach wie vor berühren, bewegen und Mut schenken kann, auch außerhalb dieses unvergleichlichen Opernmärchens.

Links:



P. R. Klose, Lewes, Mai 2017