Dienstag, 7. August 2012

FRÄULEIN ELSE - ein literarisch musikalisches Erlebnis am Schauplatz des Fin de Siècle



2012 gilt als „Arthur Schnitzer Jahr“. Arthur Schnitzler – der 1863 geborene Erzähler, Dramatiker und Vertreter der Wiener Moderne, der wie kein anderer zwischen den Zeilen schrieb und damit die Abenddämmerung der Donaumonarchie in allen Nuancen einzufangen vermochte. 
Heute wird er oft als „typischer“ Wiener Autor seiner Zeit bezeichnet, wobei er genau diese, seine Epoche mit Bühnenwerken wie dem Reigen und Novellen wie Leutnant Gustl mitsamt aller darin widerspiegelnden Ängste, Obsessionen, erotischen Träumen und Neurosen nicht nur feinsinnig zu portraitieren, sondern auch zutiefst zu irritieren wusste. Die beiden genannten Werke sorgten beispielsweise für einen Prozess wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses beziehungsweise die Aberkennung des Offiziersrangs als Oberarzt des Österreichischen Militärs.

Arthur Schnitzler, einer Wiener jüdischen Familie entstammend, arbeitete als Arzt im Wiener Allgemeinen Krankenhaus und später in seiner eignen Praxis, betätigte sich jedoch von jeher als Schriftsteller. Er war mit zahlreichen anderen prägenden Persönlichkeiten seiner Zeit in Kontakt, darunter Hugo von Hofmannsthal, Stefan Zweig, Felix Salten, Alma Mahler, Richard Beer-Hofmann und Sigmund Freud.

Seine literarischen Miesterwerke waren Stoff zahlreicher Verfilmungen bis in die heutige Zeit. Zuletzt diente US-Regisseur Stanley Kubrick Schnitzlers Traumnovelle als Vorlage zum Film Eyes wide shut. Das Stück Liebelei inspirierte 1958  Pierre Gaspard-Huit zum Film Christine mit Romy Schneider und Alain Delon in den Hauptrollen. Zuvor, im Jahre 1933, spielte Romy Schneiders Mutter Magda die Rolle der Christine in Max Ophüls’ Film Liebelei.


Arthur Schnitzler und die Musik

Arthur Schnitzler komponierte auch und interpretierte am Klavier unter anderem Werke von Mozart, Beethoven, Wagner, Brahms, Dvorak, Strauss, Mahler sowie Bearbeitungen von Symphonien des von ihm so bewunderten Anton Bruckner.
Er schrieb unter anderem einen vierteiligen „Liebelei-Walzer“. Ob die Komposition für eine Aufführung seines gleichnamigen Theaterstücks gedacht war, ist nicht bekannt. Sein Sohn, der Regisseur Heinrich Schnitzler verwendete den Walzer in seiner Inszenierung von Liebelei im Jahre 1968. Das Mozarteumorchester Salzburg brachte das Werk in einer Bearbeitung von Wolfgang Danzmayr unter der Leitung von Ivor Bolton zur Aufführung. Eine Aufnahme davon ist in der Dauerausstellung des Jüdischen Museums in Wien zu entdecken.

Und so findet die Musik in literarischer Form Eingang in seine Werke. Bereits in seinem Romanerstling Der Weg ins Freie, spielt die Musik eine tragende Rolle. Musikalische Zitate finden sich auch in der im Jahr 1924 veröffentlichten Monolog-Novelle Fräulein Else.


Fräulein Else

Die Erzählung Fräulein Else begleitete die bekannte österreichisch-französische Schauspielerin Mijou Kovacs bereits seit ihrer Jugend. Es ist die Geschichte einer schönen jungen Frau, die sich zwischen Loyalität zu ihrem Vater, eigener Integrität, Todessehnsucht, Begehren und Selbstverwirklichung hin und her gerissen fühlt und deren Selbstaufgabe schlussendlich in den Freitod führt. Die Erzählung liegt, wie Mijou Kovacs anfügt, einer wahren Begebenheit zugrunde.



Foto: Kurt Brazda
 

Mit 16 kam Mijou Kovacs erstmals mit dem Werk in Berührung, bald darauf erarbeitete sie es während ihrer Ausbildung am Max Reinhard Seminar. Sie interpretierte Fräulein Else nicht nur auf deutschen Bühnen sondern auch in einer französischen Fassung im Espace Cardin in Paris.
Nun kreierte sie ihre eigene Lesefassung, für deren Aufführung der Pianist Luca Monti und der Cellist Roland Lindenthal Schnitzlers Text mit Werken von Max Bruch, Nino Rota, Peter Iljitsch Tschaikowskij, Arvo Pärt, Felix Mendelssohn Bartholdy, Gabriel Fauré und Robert Schumann verweben. Sämtliche Werke wurden von Mijou Kovacs und dem Luca Monti langsam und instinktiv ausgesucht und ausprobiert. Dann wenn wir eine Gänsehaut spüren, haben wir die richtige Stelle und die richtige Musik gefunden.“, erzählen die Künstler.
Schnitzler selbst erwähnt im Text eine Beethoven-Sonate, am Ende des Werks fanden sich auf Schnitzlers Buch einige Stichnoten zu Robert Schumanns Carnaval. Daraus lässt sich schließen, dass sich Schnitzler während seines Schaffens nicht nur die Worte und die Atmosphäre vorstellte, sondern wie Luca Monti betont „sogar ein dreidimensionales Bild mit Musik erschuf“.  

Ein außergewöhnlich stimmungsvolles dreidimensionales Zusammenspiel von Text, Ort und Musik ist für die kommende Aufführung garantiert, denn Mijou Kovacs's Lesefassung von Fräulein Else ist nach ihrer erfolgreichen Uraufführung im Wiener Musikverein als nächstes am 10. August im Kurhaus Semmering zu erleben. Ein geeigneteres Ambiente als das 1909 fertiggestellte Kurhotel ist für jene Erzählung kaum vorstellbar, war es doch zur Zeit Schnitzlers ein Treffpunkt der Gesellschaft der österreichisch-ungarischen Monarchie. Noch heute gleicht jene versunkene Welt der Jahrhundertwende mit ihren eleganten Salons und dem prachtvollen Festsaal und malerischen Bergpanoramas einem idealen Filmset für die Geschichte des Fräulein Else. 


Foto: Kurhaus Semmering

Zu den Gästen zählten damals Literaten, Regisseure und Schauspieler wie Max Reinhardt, Anton Wildgans, Otto Brahm, Gerhard Hauptmann, Josef Kainz und Franz Werfel. Auch Schnitzler war Gast jenes Hauses. Belegt ist, dass er die Entwürfe zur Liebelei dort fertigstellte und sein Drama Professor Bernhardi an jenem Ort verfasst wurde, dass dort gleichzeitig auch Inspirationen für sein Fräulein Else gesammelt wurden, ist naheliegend. Das Drama Professor Bernardi ist übrigens ein weiteres Stück, das heftigst kritisiert und bis zum Zerfall der Donaumonarchie 1918 in Österreich sogar verboten wurde.

Auch wenn Schnitzler zur Zeit des Entstehens von Fräulein Else nicht mehr als Arzt praktizierte, ist seine intensive Beschäftigung mit körperlichen Prozessen und der menschlichen Psyche in allen Texten stark spürbar. Vieles wird inmitten des emotionalen Wechselspiels zwischen innerem Dialog und den Eindrücken und Reizen von außen über die Musik kommentiert und reflektiert. Dem Erzählstrom folgend, tauchen wir ein in Schnitzlers Reisen durch Seelenleben, die bis heute faszinieren.
Gefragt, weshalb die Texte Arthur Schnitzlers beim Rezipienten eine solch starke Wirkung zeigen, antwortet Mijou Kovacs: „Er geht eben nicht nur unter die Haut sondern auch ins Knochenmark.“ Eine Antwort, die Herrn Dr. Schnitzler wahrscheinlich gefallen hätte.