Sie war kein Mensch großer Förmlichkeiten. So wie ihr Spiel
sämtliche Grenzen sprengte, schien es auch für ihre Herzlichkeit und
Spontanität kein Gerüst zu geben, das sie zurück oder in Zaum hielt.
Gleichzeitig spürte man ihren starken Willen und eine
eiserne Disziplin, die Dinge so zu vollbringen, wie sie sein sollten, wie sie
erklingen sollten.
Wer je ein Konzert dieser Pianistin erlebt hat, kann das
Gefühl nachvollziehen, “spielerisch“ von etwas gefangen zu werden.
Es gibt jene Sätze, die hier, in einem Nachruf,
ausgesprochen gehören – und in ihrem Fall ist es wahrhaftig Pflicht: Sie war
eine große Künstlerin, gefeierte Solistin, Gewinnerin renommierter Preise wie dem Clara-Haskil-Wettbewerb, ein ursprüngliches
Wunderkind, das sich in den Olymp der Musikwelt gespielt hatte. Dennoch, diese
Worte erscheinen seltsam, nicht aussagekräftig, wenn es sich um Mihaela
Ursuleasa handelt.
Ich kann nicht behaupten, sie gut gekannt zu haben. Unser
persönliches Kennenlernen war flüchtig. Doch ich denke, jeder, der ihr begegnet
ist, weiß von der Intensität, welche eine Begegnung mit dieser Künstlerin
zwangsläufig mit sich brachte.
Sie kam vergangene Saison nach Vorarlberg, wo für die
Osterfeiertage Franz Liszts Erstes Klavierkonzert mit dem Symphonieorchester
Vorarlberg geplant war. Sie, die keine Minute zum Proben versäumen wollte, war zu
spät, denn während ihrer Anreise von Wien nach Bregenz geschah es, dass sie aus
dem Zug ausstieg, um sich kurz die Beine zu vertreten und eine Zigarette zu
rauchen und der Zug zu ihrer Überraschung augenblicklich weiterfuhr, samt ihrem
Gepäck und ihrer Handtasche mit Mobiltelefon und Portemonnaie.
Sie spielte eine mitreißende öffentliche Generalprobe. Am
Abend des Konzerts jedoch war sie, von Schwäche und Übelkeit überrumpelt,
gezwungen, kurzfristig abzusagen und ins Hotel zu fahren, um für die kommenden
Tage das Bett zu hüten. Einer jener Momente, in welchen der Körper plötzlich
und bestimmt "nein" sagt und der stärkste Wille machtlos erscheint, denn sie
wollte spielen, sie musste spielen. Und man musste sie hören. Dies war im April
2011. Zahlreiche Sternstunden, solistisch, mit großen Orchestern, Dirigenten
und Kammermusikern, bei welchen sie ihren musikalischen Partnern und dem Publikum
ihre Lebendigkeit und Virtuosität schenkte, gingen diesem Moment voraus und
folgten danach.
Am 2. August 2012 ist Mihaela Ursuleasa verstorben.
Ihre künstlerischen Triumphe, im Kleinen wie im Großen, bleiben unvergessen. Und
so verneigen wir uns vor ihr, die keine Förmlichkeiten pflegte und vielleicht
darauf mit ihrem lauten herzlichen Lachen reagieren würde. Eine tiefe dankbare Verneigung
vor der Pianistin Mihaela Ursuleasa.
Petra R.
Klose, Prades August 2012